Im Schatten der Leuchttürme – Von Wiek nach Kap Arkona

Morgens am Hafen von Wiek

Der Morgen in Wiek begann leise. Der Himmel hing schwer über dem kleinen Boddenhafen, das Licht war weich, gedämpft – fast als wolle der Tag mir Raum lassen, um langsam in ihn hineinzufinden. Ich schob mein Rad über die kopfsteingepflasterte Promenade. Möwen kreisten über den Booten, die in der leichten Dünung schaukelten, und der Geruch von Salz, Tang und Kiefern lag in der Luft.

Mein Ziel: Kap Arkona – nördlichster Punkt Rügens, Ort der Stürme, Legenden und Weite. Die heutige Etappe sollte eine der wildromantischsten auf meiner Fahrradtour Rügen werden, eine Route, die von sanften Wiesen durch Wälder und Steilküsten führt – über Dranske, Nonnevitz, Kreptitz und das versteckte Vitt, bis der Weg an den Leuchttürmen endet. Die Wiek Kap Arkona Radroute gilt als eine der landschaftlich reizvollsten Strecken auf Wittow – nicht nur für geübte Radfahrer, sondern auch als familienfreundliche Tour geeignet.

Zwischen Dünen, Märchenwald und Steilküste

Kaum hatte ich Wiek verlassen, öffnete sich die Landschaft. Felder streckten sich unter dem ziehenden Himmel, vereinzelte Windräder standen wie Mahnmale in der Ferne. In Dranske roch es nach feuchtem Schilf und Teer – der kleine Ort liegt direkt am Wieker Bodden, ruhig, still, fast vergessen. Ich trat weiter, der Wind war mein Begleiter.

Hinter Dranske begann der vielleicht schönste Abschnitt: der Nonnevitz Märchenwald Radweg. Alte Buchen säumten den Pfad, das Licht fiel in goldgrünen Strahlen auf den Waldboden. Ich fuhr langsam, sog den Geruch von feuchter Erde und Harz ein. Ein Vater mit Kind winkte mir zu – sie hielten an einem Picknickplatz, ein mitgebrachter Apfel rollte davon, das Kind lachte.

Dann plötzlich: die Weite. Ich hatte die Küste erreicht, hinter Kreptitz. Die Steilküste von Kap Arkona, die sich bereits am Horizont andeutete, war von hier aus wie ein Versprechen – der Weg dorthin führte über schmale Uferpfade, vorbei an Wellen, die hart gegen die Steine schlugen. Der Steilküste Kap Arkona Erlebnispfad schlängelte sich entlang der Klippen, und ich musste manchmal absteigen, um die Aussicht wirklich zu begreifen.

Zwischen Putgarten und dem Nordlicht

In Putgarten wurde der Weg ruhiger. Die Autos blieben draußen – eine Entscheidung, die dem Ort gut tat. Pflastersteine klackerten unter meinen Reifen, alte Bauernhäuser duckten sich hinter Apfelbäume. Es roch nach frisch gebackenem Kuchen, irgendwo läutete eine Glocke.

Von hier war es nur noch ein kurzes Stück bis zum Kap. Ich stellte mein Rad ab und ging zu Fuß weiter – vorbei an der Wallanlage, die sich wie ein geheimnisvoller Ring um den Hügel zog. Still war es hier, fast ehrfürchtig. Ich dachte an die alten Ranen, die hier ihren Göttern opferten, lange bevor der Leuchtturm das Land erhellte.

Das Dorf Vitt lag verborgen unterhalb der Steilküste, wie ein Relikt aus einer anderen Zeit. Ich stieg den Pfad hinab, der feucht vom Nebel war, und fand mich in einem Amphitheater aus reetgedeckten Dächern, Kopfsteinpflaster und dem Geruch nach Fisch wieder. Die kleine Rundkirche, gebaut im 19. Jahrhundert, wirkte wie aus einem Märchen.

Eine Insel, viele Schichten – Wissen am Wegesrand

Wittow, die windumtoste Nordspitze Rügens, war einst Grenzland. Der Name stammt vom slawischen „vit“, was „heilig“ bedeutet – passend, wenn man bedenkt, dass Kap Arkona einst ein spirituelles Zentrum war. Die Jaromarsburg, heute nur noch als Wallanlage sichtbar, war dem Gott Svantevit geweiht – ein vierköpfiger Gott der Fruchtbarkeit und Weisheit.

Der Leuchtturm, den heute alle sehen, wurde 1905 erbaut. Neben ihm steht ein älterer Turm von 1826 – entworfen von Karl Friedrich Schinkel. Beide wachen wie stumme Wächter über das Meer, blinken hinaus in Richtung Dänemark, über das Kap hinweg, das manchmal in Nebel gehüllt ist, manchmal in Licht getaucht.

Die Landschaft rund um das Kap ist streng geschützt – die Steilküste Kap Arkona gehört zu den fragilsten Formationen der Insel. Risse und Abbrüche zeugen von der Kraft der Elemente. Das Radfahren hier erfordert Achtsamkeit – nicht nur wegen der Wege, sondern auch aus Respekt vor der Natur.

Ausklang am nördlichsten Punkt

Ich saß auf einer Bank mit Blick auf die See. Das Licht des späten Nachmittags lag golden über dem Wasser, Möwen kreisten, und ein leichter Wind fuhr mir durchs Haar. Hinter mir rauschte das Schilf, vor mir war nur das Meer.

Die Etappe von Wiek nach Kap Arkona war mehr als eine Fahrradtour. Sie war eine Begegnung – mit Wind, Geschichte, Landschaft. Mit dem eigenen Atemrhythmus. Mit Stille. Die Wiek Radroute hatte mich geführt – über Wald, Küste, Geschichte – und an einen Punkt gebracht, an dem der Horizont nicht weiter reichen konnte.

Ich drehte mich noch einmal um, sah den Leuchtturm, der in der Ferne stand, sah den Weg, den ich gekommen war. Dann stieg ich auf mein Rad, rollte langsam zurück nach Putgarten, wo ich für die Nacht eine Unterkunft gebucht hatte. Am nächsten Morgen sollte es weitergehen – in Richtung Süden.