Über Dünen, Licht und Wasser – Von Hiddensee nach Wiek

Ein stiller Morgen auf der Insel

Der Tag beginnt, wie Hiddensee beginnt: leise, hell, mit Wind in den Kiefern und Salz auf den Lippen. Ich rolle mein Rad vom kleinen Gästehaus am Ortsrand, die Reifen knirschen über Muschelreste auf dem Sandweg. Über mir flackert das frühe Licht in den Baumkronen, als wollte es sich noch einmal vergewissern, dass der Tag wirklich begonnen hat.

Ich bin auf Fahrradtour auf Rügen – oder besser: auf einem Umweg dorthin. Noch bin ich auf Hiddensee, dieser stillen, autofreien Schwesterinsel, die mehr einer Stimmung gleicht als einem Ort. Mein Ziel heute ist Wiek, drüben auf der großen Insel. Eine Etappe voller Übergänge: vom Hiddensee Radweg zum Bodden, von Leuchttürmen zu Künstlerhäusern, von der Fähre auf das Festland.

Der Wind kommt vom Westen, frisch und freundlich. Es riecht nach Seetang und Holz. Ich schließe die Jacke, trete los.

Der Weg zum Licht – Der Dornbusch und das weite Meer

Der Pfad zieht sich erst durch flaches Land, durch lichte Birken und Heideflächen. Dann beginnt der Anstieg. Ich schiebe mein Rad durch das hügelige Nordende Hiddensees, wo der Dornbusch die Insel formt – eine eiszeitliche Moräne, überzogen mit Gras, Ginster und Wind.

Der Weg zum Dornbusch-Leuchtturm ist steil, aber jeder Schritt lohnt sich. Oben angekommen stehe ich still. Hinter mir: die Insel, ihre Häuser, Gärten, Katen, das Meer. Vor mir: Weite. Der Leuchtturm Dornbusch steht seit 1888 hier oben, weiß und wachsam. Er hat Brände gesehen, Stürme, Stille.

Ich setze mich in den Sand unterhalb der Steilküste, sehe Möwen steigen, höre ein entferntes Boot tuckern. Der Weg schlängelt sich weiter, durch duftende Kiefernwälder, vorbei an stillen Stränden, wo das Wasser in langen Wellen anrollt.

Ein alter Mann kommt mir entgegen, ebenfalls mit Rad, die Satteltasche aus Leder, das Gesicht sonnengegerbt. „Wiek? Dann nehmen Sie die kleine Fähre rüber, oder?“ fragt er. Ich nicke. „Guter Weg. Der Wind hilft heute.“

Kunst und Zeit am Wegrand

Weiter südlich verlangsamt sich der Weg. Ich passiere Künstlerhäuser, verstreut wie Gedanken im Grünen. Hiddensee war nie nur Natur – es war auch Rückzugsort. Gerhart Hauptmann, der Literatur-Nobelpreisträger, verbrachte hier seine Sommer, ebenso wie viele Maler der Berliner Secession. Ihre Spuren sind geblieben – in Ateliers, Galerien, manchmal in einem Fenster, das sich weit öffnet zum Licht.

Ich rolle langsam, sehe links die Boddenlandschaft glitzern, rechts das Schilf rauschen. Kein Motor, kein Lärm – nur der leise Takt der Pedale, das rhythmische Knirschen des Weges.

Dann erreiche ich Vitte, den Fährhafen. Die Rückfahrt mit der Fähre nach Rügen ist ein Sprung über das Wasser – eine kurze Pause im Licht. Ich lehne mich an die Reling, das Rad sicher verzurrt, und sehe zurück auf die Insel, die schon wieder kleiner wird, sich einhüllt in Nebel.

Von der Fähre zur Wittower Fähre – Die stille Radroute nach Wiek

In Schaprode beginnt das nächste Kapitel meiner Radtour Hiddensee nach Wiek. Der Weg führt über schmale Landstraßen, oft direkt am Wasser. Der Bodden glitzert, manchmal stehen Reiher unbewegt am Ufer, als wären sie Teil des Schilfs.

Ich fahre durch kleine Orte mit Namen wie Granskevitz, durch Alleen und Felder, vorbei an alten Zäunen und Apfelbäumen. Es ist ein Abschnitt ohne große Höhepunkte – und doch voller Schönheit.

An der Wittower Fähre überquere ich den Strom. Eine kurze Fahrt, aber sie markiert den Übergang zum nördlichen Rügen, zur Halbinsel Wittow. Die Wiek Radroute ist gut ausgeschildert, verläuft meist eben, und lässt viel Raum für Blicke: über Wiesen, Wasser, bis hin zum Horizont.

Wiek – Ein Ankommen am Rand der Welt

Ich erreiche Wiek am späten Nachmittag. Das Licht hat sich verändert – wärmer, weicher. Der Ort empfängt mich mit seinem Hafen, dem Glockenturm der alten Backsteinkirche und dem leichten Duft von Fisch in der Luft.

Hier, am Bug, ist Rügen still geworden. Die Uferpromenade ist fast leer, die Bänke besetzt von Möwen. Ich setze mich, sehe hinaus auf das Wasser, auf das gegenüberliegende Kap Arkona, das im Dunst nur zu ahnen ist.

In einem kleinen Café trinke ich Kaffee, esse Kuchen. Mein Rad lehnt draußen am Zaun. Die Sonne sinkt, langsam, ruhig. Es war keine spektakuläre Etappe – aber eine, die in der Stille wächst.

Geschichte & Landschaft – Eingebettet im Moment

Hiddensee ist seit Jahrhunderten ein Rückzugsort – erst für Fischer, dann für Künstler, Intellektuelle, Reisende. Seit 1990 ist die Insel ein Teil des Nationalparks „Vorpommersche Boddenlandschaft“, einem der größten Schutzgebiete Norddeutschlands.

Die Hiddensee Radwege führen durch sensible Dünen, durch Feuchtgebiete und alte Küstenwälder. Das Radfahren hier verlangt Respekt – vor der Natur, vor der Stille. Auch Wiek blickt auf eine lange Geschichte zurück: einst ein Fischerdorf, später Militärstandort, heute ruhiger Anlaufpunkt für Segler und Radreisende.

Die Fahrradtour Rügen von Hiddensee nach Wiek ist ein stilles Kapitel – aber eines, das sich tief einprägt.

Fazit – Und ein Blick voraus

Ich bleibe über Nacht in Wiek. Morgen geht es weiter, Richtung Norden, vielleicht nach Kap Arkona. Doch heute Abend zählt nur der Blick über das Wasser, der Klang des Windes in den Segeln der Boote, das leise Knacken des Fahrrads im Stand.

Der Rügenroman geht weiter – in Etappen, in Erinnerungen, in Geschichten.