Von Binz nach Göhren – Auf zwei Rädern durch Wälder, Seen und Seebrücken

Morgendunst über dem Binzer See

Der Morgen in Binz beginnt leise. Dünner Nebel hängt über dem Binzer See, als würde er den Tag noch einen Augenblick zurückhalten wollen. Die ersten Sonnenstrahlen tasten sich vorsichtig über die Wasseroberfläche, bringen winzige Wellen zum Glitzern. Ich stehe am Rand des Ufers, das Rad an meiner Seite, und atme die kühle Luft tief ein. Der Geruch von feuchtem Holz und Schilf mischt sich mit einer leisen Erwartung – die Etappe meiner Fahrradtour Rügen führt heute bis nach Göhren.

Binz ist noch verschlafen. Nur das leise Klirren von Geschirr aus einem Café klingt herüber, Möwen ziehen ihre Kreise über der Seebrücke. Die Route verspricht Abwechslung: stille Waldseen, historische Bauwerke, der Blick von der Selliner Seebrücke hinaus auf die Ostsee, kleine Fischerorte – und der Weg durch die geschützte Baaber Haide, bevor Göhren am Horizont auftaucht.

Der Weg – Von See zu Schloss, von Küste zu Küste

Der erste Abschnitt führt sanft bergauf, hinein in die Granitz. Die Bäume stehen hier dicht, ihre Stämme wie graue Säulen, zwischen denen das Licht in zarten Flecken den Waldboden berührt. Der Radweg ist fest und leicht zu fahren, die Geräusche der Küste liegen schon hinter mir. Nach wenigen Kilometern taucht das Jagdschloss Granitz auf – weiß und mächtig, mit einem zentralen Turm, der sich hoch über die Baumkronen erhebt.

Ich lehne mein Rad an, um den Anstieg zum Turm zu wagen. Im Inneren führt eine gusseiserne Wendeltreppe nach oben – 154 Stufen, jede aus einem einzigen Stück Metall gefertigt. Oben weitet sich der Blick: Rügen liegt unter mir wie eine Landkarte. In der Ferne erkenne ich die schmale Silhouette der Seebrücken, den Schimmer der Seen, und an klaren Tagen reicht der Blick sogar bis nach Usedom.

Der Weg führt weiter am Schwarzen See vorbei. Sein Wasser wirkt fast schwarz, eingefasst von dichtem Wald und Schilfgürtel. Kein Motorenlärm, kein Wind – nur das leise Rascheln der Blätter und das Knirschen von Kies unter den Reifen. Der See ist ein Naturjuwel, verborgen im Herzen der Granitz, und wirkt wie ein Ort, an dem die Zeit eine Pause macht.

Kurz darauf öffnet sich der Wald, und das helle Blau der Ostsee blitzt durch die Bäume. Der Radweg führt hinab nach Sellin, wo die berühmte Selliner Seebrücke mit ihrer Bäderarchitektur ins Wasser ragt. Ich setze mich auf eine der Bänke am Strand, sehe den Spaziergängern zu und höre das rhythmische Rollen der Wellen.

Begegnung mit Geschichte – Der „Rasende Roland“

Hinter Sellin liegt die Strecke des Rasenden Roland, der historischen Schmalspurbahn, die seit 1895 über die Insel dampft. Heute fährt sie auch zwischen Binz und Göhren. Ich treffe am Bahnübergang auf eine Familie, die die Fahrräder in den Gepäckwagen laden lässt – eine charmante Möglichkeit, die Etappe abzukürzen oder einfach den nostalgischen Dampfzug zu erleben. Der Geruch von Kohle und heißem Metall liegt in der Luft, als die Lokomotive langsam an mir vorbeizieht.

Ich aber bleibe im Sattel. Der Weg führt durch Baabe, wo der Strand fast nahtlos an die Dünen anschließt. Ein kurzer Abstecher zum Meer lohnt sich – der Baabe Strand Spaziergang ist eine wohltuende Unterbrechung. Barfuß im feinen Sand, die Füße vom seichten Wasser umspült, wird der Rhythmus der Radtour sanfter.

Die Baaber Haide – Dünenwald zwischen Meer und Bodden

Hinter Baabe beginnt die Baaber Haide. Hier wird der Radweg zum schmalen Pfad durch Kiefernwald, der auf der einen Seite vom Meer, auf der anderen vom Bodden begrenzt wird. Das Licht flimmert zwischen den Baumstämmen, der Boden wechselt zwischen festem Sand und weichem Nadelfall. Die Luft ist erfüllt vom Duft harziger Kiefern, manchmal mischt sich eine salzige Brise hinein.

Es ist ein Ort, an dem Natur und Stille dominieren. Die Baaber Haide gilt als einer der schönsten Abschnitte auf Rügen – nicht spektakulär im Sinne von Höhepunkten, sondern durch diese Mischung aus Ruhe, Meergeruch und dem stetigen, gleichmäßigen Tritt in die Pedale.

Ankunft in Göhren

Als die ersten Dächer von Göhren zwischen den Bäumen auftauchen, hat sich das Licht des Tages verändert. Die Sonne steht tief, taucht den Ort in ein warmes, goldenes Leuchten. Der letzte Anstieg ist sanft, und dann liegt der Ort vor mir – mit Blick sowohl zur Ostsee als auch zum Greifswalder Bodden.

Die Etappe war abwechslungsreich: von der stillen Morgenstimmung am Binzer See über die historische Erhabenheit des Jagdschlosses Granitz, das versteckte Wasser des Schwarzen Sees, die Lebendigkeit an der Selliner Seebrücke, bis hin zur stillen Schönheit der Baaber Haide.

Göhren empfängt mich mit dem Geruch von gebratenem Fisch aus einer Strandbude, dem Rufen der Möwen und der Gewissheit, dass jede Fahrt auf Rügen eine neue Geschichte schreibt – selbst wenn der Weg nur ein paar Dutzend Kilometer lang ist.